Stromtrassen als Orte der Arten- und Lebensraumvielfalt

Mehrere Tausend Kilometer Freileitungstrassen durchziehen Deutschlands Natur- und Kulturlandschaften und bilden ein weites Netz an Leitungskorridoren, um unsere Stromversorgung sicherzustellen. Es liegt nahe, dass diese Infrastruktur auch die Lebensräume von Tieren und Pflanzen beeinträchtigt.
Dabei geht es weniger um die Strommasten selbst, die optisch zwar auffällig sind und Einfluss auf das Landschaftsbild haben, als mehr um die regelmäßigen Pflegemaßnahmen entlang der Stromtrassen, die zwingend nötig sind, um die Betriebssicherheit und Störungsfreiheit der Stromversorgung zu gewährleisten. Besonders wirken sich diese Maßnahmen in bewaldeten Bereichen aus.
So zum Beispiel, wenn auf den Flächen die komplette Vegetation bzw. die Gehölze radikal zurückgeschnitten und gehäckselt werden – eine z.T. noch übliche Pflegepraxis, bei der kahle Flächen zurückbleiben. Für Wald- und Waldrand bewohnende Lebenswesen eine Katastrophe: abgesehen von Arten, die dabei unmittelbar getötet werden, bleibt eine Schneise von ca. 50 – 70 m zwischen einer Waldfläche und einer anderen für manche Tierarten ein unüberbrückbares Hindernis, wenn nirgendwo schützende Vegetationseinheiten zu finden sind. Zudem entfallen bei dieser Art Trassenpflege alle 10 – 15 Jahre schlagartig immer wieder lebenswichtige Habitate, die als Jagdrevier für verschiedene Fledermausarten und eine Vielzahl an Vogelarten von Bedeutung sind.

Flächenhafter Kahlschlag und Mulchen angefallener Gehölze: eine Störung mit starken Effekten auf Lebensräume und Arten (Bild: J. Kühn)

Ökologisches Trassenmanagement: gewinnbringend für Mensch und Natur

Dass eine andere und ökologisch nachhaltigere Bewirtschaftung von Trassen möglich ist, zeigen einzelne Netzbetreiber (NB), wie z.B. der Verteilnetzbetreiber Westnetz (Hochspannung bis 110kV) und die Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid und Amprion (Höchstspannung bis 380kV). Seit mehr als zwei Jahrzehnten verzichten diese z.B. auf großflächigen Kahlschlag und praktizieren stattdessen eine nachhaltige Form der Trassenpflege.
Wesentliche Elemente dieses ökologischen Trassenmanagements (öTM) sind bspw. die Gestaltung von weichen Übergängen zwischen Wald und Offenflächen mittels gestufter Waldränder sowie die Einzelstamm-Entnahme leitungsbedrohender, schnellwachsender Gehölze. Zugleich werden langsam wüchsige Baumarten gefördert und bei der Pflege auf Stock gesetzt, so dass Niederwald ähnliche Bereiche entstehen können. In diesem Zusammenhang wird auch darauf geachtet, Totholz auf den Flächen zu belassen: Einerseits sparen diese Netzbetreiber Energie und Aufwand für den Abtransport oder das Häckseln des Schnittguts, andererseits finden so totholzliebende Arten, wie v.a. Käfer, neue Lebensräume.

Harte Waldränder nach Rodung in der klassischen Pflege (links) und ein Waldsaum nach Maßgabe des öTm (rechts): Fließende Übergänge zwischen Wald und Halboffenland durch einen bewusst belassenen Strauchmantel (Foto: J. Kühn)

Gezielte Pflegemaßnahmen im öTm: In der Fläche belassenes Totholz (links) und der Erhalt langsam wachsender Gehölze wie Eiche, Wildobst, Holunder, Ahorn, usw. – hier im Bild Hainbuche (Foto: J. Kühn).

Dieses Vorgehen verursacht bei der Einführung aufgrund ausführlicher Datenerfassung zu Beginn sowie anspruchsvollerer Biotoppflege zwar anfänglich erhöhte Kosten. Erfahrungen zeigen aber, dass nach 5 – 8 Jahren die Kosten des öTm häufig unterhalb derer für die konventionelle Trassenpflege liegen. Grund hierfür sind die in späteren Jahren weniger intensiven und lediglich selektiven Pflegemaßnahmen.

 

Pionierflächen in der Uckermark

In Zusammenarbeit mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz Transmission und dem Verteilnetzbetreiber E.DIS will die Helversen’sche Stiftung anhand von Beispieltrassen im Landkreis Uckermark modellhaft aufzeigen, welches Potential die Umstellung von konventioneller Pflege auf das öTm hat und wie dies ganz praktisch aussehen kann.
Auf Basis bereits existierender Leitfäden und nach Erfassung der Ausgangssituation auf den Beispieltrassen – mithilfe von Biotopkartierungen sowie bestehender Naturschutzfachplanung und Trassendaten – will die Stiftung gemeinsam mit beiden Netzbetreibern notwendige Pflegemaßnahmen identifizieren und entsprechend passende Umsetzungsmöglichkeiten vorschlagen.
Um alle wichtigen Informationen zu bündeln und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, sollen die zentralen Akteur*innen, wie z.B. Naturschutz-, Forst- und ggf. Landwirtschaftsbehörden, aber auch die Flächeneigentümer*innen partizipativ in den Entwicklungsprozess mit eingebunden werden. Neben Gesprächsrunden in den jeweiligen Gemeinden soll es auch Fach-Dialoge zum öTm geben. Hierbei sollen verschiedene Vorstellungen und Bedenken zum Thema Berücksichtigung finden und gleichsam der Austausch zur Einführung der neuen Praxis und zu sozio-ökonomischen Aspekten ermöglicht werden.

Artenvielfalt auf Stromtrassen: mosaikhafte Pflegemaßnahmen und installierte Nistkästen ermöglichen eine Vielzahl an Habitaten und Lebensräumen, u.a. für Bienen & Hummeln, Falken, Laufkäferarten und gut getarnte Ödlandschrecken.

Leitfäden zum Thema
DVL e.V. – Lebensraum unter Strom
DUH e.V. – Ökologisches Trassenmanagement
NABU-Stiftung – Ökologisches Trassenmanagement

Kontakt
Judith Kühn – Projektmanagerin Ökologisches Trassenmanagement
Mail: kuehn@helversen-stiftung.org
Mobil: +49 175 9905 190

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